Späte Einsichten. Roman by David Leavitt

Späte Einsichten. Roman by David Leavitt

Autor:David Leavitt [Leavitt, David]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783455813678
Herausgeber: Hoffmann und Campe
veröffentlicht: 2015-09-13T16:00:00+00:00


14

»Sie sind vermutlich überrascht, mich zu sehen.«

»Weniger überrascht, als Sie vielleicht denken.«

»Nun, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich bleibe nicht lange. Edward wird mich gleich ablösen.«

»Er weiß, dass Sie hier sind?«

»Mein Mann und ich haben keine Geheimnisse voreinander. Bitte, setzen Sie sich. Ich brauche nur ein paar Minuten.«

Ich setzte mich. »Eigentlich bin ich froh, Sie hier anzutreffen«, sagte ich. »Dann kann ich Sie fragen, wieso in aller Welt Sie Julia zu einer Anzahlung auf das Haus überredet haben.«

»Überredet? Ich habe nichts dergleichen getan.«

»Aber Sie haben auch nicht versucht, sie davon abzuhalten.«

»Warum auch? Es gibt keinen Grund, warum sie nicht in Portugal bleiben sollte, wenn sie das möchte.«

»Ganz im Gegenteil, es gibt einen sehr guten Grund. Hier ist es zu gefährlich.«

»Wo ist es schon sicher? Zahllose Leute haben in den vergangenen Jahren ebenso viele Antworten darauf gefunden – und sehen Sie nur, wohin es sie gebracht hat?«

»Dennoch bleiben Sie nicht.«

»Sie verstehen sicher, Mr Winters, wenn ich sage, dass es meines Erachtens weder in meinem noch in Julias Interesse ist, wenn Sie und mein Mann auf demselben Kontinent verbleiben.«

»Ich verstehe. Sie sind also bereit, Julia über die Klinge springen zu lassen?«

»Wie können Sie mir vorwerfen, dass ich Julia über die Klinge springen lasse? Sie sind derjenige, der sie zielstrebig in den Abgrund treibt. Muss ich noch deutlicher werden? Also gut. Sie und Edward haben ein Verhältnis. Ich kann damit leben. Julia könnte es nicht.«

»Muss sie es denn herausfinden?«

»Ganz genau. Sie darf es nicht herausfinden. Unter keinen Umständen. Natürlich wäre das Risiko geringer, wenn Sie in Portugal blieben. Aber Sie haben diese Möglichkeit ausgeschlossen, und deshalb werden wir vermutlich in etwa einer Woche zu viert nach New York reisen. Sind das nicht großartige Aussichten? Zweifellos werden wir jeden Abend am selben Tisch sitzen. Und nach dem Essen werden Sie und Edward aufstehen und – auf welche Lüge sollen wir uns einigen? – eine Zigarre rauchen? Das alte gesellschaftliche Ritual, dass die Herren und Damen eine Weile unter sich sind? Oder wären Ihnen die Nachmittage lieber? Zum Tee.«

»Bitte! Nicht so laut.«

»Ach, Sie haben Angst, dass andere davon erfahren? Gut. Das sollten Sie auch.«

Sie drehte sich zur Seite und zündete sich eine Zigarette an. Ihre Hände zitterten. Sie wirkte auf eine gewisse Art glanzvoll, aristokratisch und unbeholfen, mit ihrem krummen Rücken, dem zerzausten Haar und dem langen weißen Hals, wie geschaffen für die Guillotine.

»Ich weiß, was Sie denken«, fuhr sie fort. »Sie denken, ich verbiete Ihnen jeden weiteren Kontakt zu Edward. Aber das tue ich nicht. Ich bin nicht dumm. Ich kenne meine Grenzen. Ich will Ihnen stattdessen einen aus meiner Sicht vernünftigen Vorschlag machen. Sie können mit Edward tun und lassen, was Sie wollen, und ich sehe weg, solange Julia nichts davon erfährt.«

»Warum sind Sie plötzlich so besorgt um Julia?«

»Weil sie verletzlich ist.«

»Und Sie sind es nicht?«

Sie blinzelte. »Es mag Sie schockieren, aber ich kenne meinen Mann besser als jeder andere. Glauben Sie mir, nichts von alldem kommt für mich überraschend.«

»Ich nehme an, Sie beziehen sich damit auf Ihre Vereinbarung.«

»So nennt er das? Sehr witzig.



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